Reisebericht über Vietnam - nicht im Buchhandel und gegenwärtig nicht lieferbar
Von Phom Penh nach Bangkok. Und zwischendrin Vietnam mit all seinen Schikanen, Erinnerungen, Zukunftsträumen.
Leseproben
Aus
einem dicken Schlot spuckt der Dieselmotor schwarzen Rauch, das Boot zittert
leicht und wiegt sich langsam in der Strömung. Der Mekong ist in der
Trockenzeit immer noch fast 80m breit, ein unspektakulärer, langsam fließender
Strom, der das Leben am Ufer nur erahnen lässt. Der „Große Fluss“, wie die
Khmer ihn nennen, entspringt im tibetischen Hochland, schlängelt sich über 4500
km durch China, Myanmar, Laos und Kambodscha bis zu seinem weit gefächerten
Delta in Vietnam und ergießt sich in acht Armen in das südchinesische Meer.
Hier heißt er dann der „Fluss der neun Drachen“, ein Kanal wird dazu gezählt,
um der buddhistischen Glückszahl „Neun“ zu entsprechen.
Zur
Mittagszeit an der Grenze. Das war nun Kambodscha mit seinen Killing Fields,
das Land der roten Khmer, die Geschichte einer französischen Kolonie und die
einer hochentwickelten Zivilisation im frühen Mittelalter. Aufregend,
beeindruckend, unglaublich, wunderbar.
Im
Niemandsland zwischen den Grenzposten nutzen wir ein anderes Boot, müssen
zwischendurch doch noch an Land und vor einem kleinen Wartefenster Reisepass
und vietnamesisches Visum vorweisen. Mir begegnet ein unangenehmer, frostiger Blick
aus schwarzen Augen, an der Wand dahinter hängt eine rote Fahne mit gelbem
Stern. Ein breitschultriger Soldat mit umgehängter Maschinenpistole steht
daneben, schaut ebenfalls grimmig. Mulmig gebe ich den Reisepass aus der Hand,
werde von oben nach unten gemustert, als sei ich ein feindlicher Rebell. Sagt
man so etwa im Land der Viet „Herzlich Willkommen“? Dann ein Griff zum Telefon,
harte Worte, zusammengebissene Lippen, Falten auf der Stirn. Was ist los? Fehlt
ein Eintrag? Stimmt das Visum nicht? Alles sehr unentspannt. Warum geht es
nicht freundlich auf dem Kontinent des Lächelns? Im Grunde sind Grenzbeamte
auch nichts anderes als Kontrolleure am Kinoeingang und prüfen, ob jeder den richtigen
Platz einnimmt. Wenn dann etwas nicht stimmt mit Visum oder Pass oder
Einreisebescheinigung, können sie immer noch den Eintritt verwehren, ihr
bitterböses Gesicht aufsetzen und einen auf Ernst Eiswürfel machen. Aber hier
und heute bei einer Gruppe zumeist grauköpfiger Touristen, darunter aus England
und Polen, von denen Alles, nur keine Gefahr ausgeht? Wozu dient diese
Unfreundlichkeit? Als Abschreckung? Zur Demonstration eines organisierten
Staates? Weil wir ein sozialistisches Land betreten und die Menschen hier
einfach nichts zu lachen haben? Oder werden Touristen generell als staatsfeindliche
Objekte betrachtet, weil sie zumeist aus dem kapitalistischen Ausland kommen?
Dann müsste dies vorwiegend Amerikaner und Franzosen treffen, in Erinnerung an
Krieg und Kolonialzeit. Ich denke, das ist es nicht. Es geht ums Prinzip. Als
Grenzer haben sie eine Pflicht, die das System zersetzenden Kräfte abzuwehren
und gar nicht erst in den Vorfilm zu lassen. Und sie haben Macht, das wissen
sie. Hier ist doch nicht das Phantasialand. Eine
Stunde später sind wir wieder auf dem rot und braun fließenden Fluss, werden in
einem schmalen Langboot endlich direkt in die engen Flussarme und flachen
Kanäle des Mekongdeltas gefahren. Hier spielt sich das Leben direkt am und im
Wasser ab. Frauen spülen das Geschirr im braunen Flusswasser, Kinder baden im
braunen Flusswasser, Männer fischen im braunen Flusswasser. Industrieabwässer
färben es zusätzlich ein. Zwischen den Bäumen und Büschen spitzen
Fernseh-Antennen hervor, die Häuschen am Ufer sind mit Palmen bedeckt, mit
Welchblech, Plastikbahnen, übereinander gelegte Pappen oder Holz. Wenige sind
aus Stein gebaut, die meisten nur einfache Holzhütten, die sich an das Ufer
drängen. Gemächlich gleiten wir durch die Kanäle bis Chau Doc, der nahen
Grenzstadt zu Kambodscha, dem Ziel der heutigen Reise.
Die Begegnung mit Onkel Ho
Check-In
im Hotel. Das liegt in einer belebten, schmalen Seitenstraße, durch die kein
PKW passt, nur unzählige Fahrräder und noch mehr unzählige Mopeds. Die motorisierten
Zweiräder sind das Hauptfortbewegungsmittel in Vietnams Städten und haben den
guten alten Drahtesel längst abgelöst. Rücksichtlos donnern sie durch die
Gasse, haarscharf vorbei an windschiefen Baracken, die nebeneinander und
manchmal, so hat es den Eindruck, auch übereinander stehen. Hundertwasser
könnte die Bretterbuden entworfen haben, so schief drängen sich diese an den
Straßenrand. Hier findet sich alles, was sonst in einem deutschen Baumarkt verkauft
wird: Schrauben, Muttern, Hammer, Ketten, Sägeblätter, eigentlich alle
erdenklichen Werkzeuge, große und kleine Bleche und Schrott jeder Art. Ich
frage mich: ist das da der Eisen-Karl und dort der Schrauben-Fritz oder sieht
so der vietnamesische OBI aus? Ich suche keine Antwort. Ich suche ein
Internet-Café und eine Möglichkeit für eine Fahrt nach HCMC, nach
Ho-Chi-Minh-City, in das ehemalige Saigon. Ein Speedboat soll täglich fahren.
Verspricht der Reiseführer und preist die abenteuerliche Fahrt. Nur wann und
wo?Auf den Straßen Kopfschütteln, am Hafen Kopfschütteln,
ich werde noch nicht verstanden.
Am
Hafen legen kleine und große Passagierboote an, Tourenanbieter locken mit
kurzen Ausflugsfahrten und längeren Chartern in das Mekongdelta. Ein emsiges
Treiben. Zwei Fähren kreuzen über Wasser, bringen die abertausend Mopeds zum
anderen Ufer. Ein Spektakel sondergleichen. Motorengeheul erwacht mit Ankunft
der Fähre, in der ersten Reihe stehen die Schnellsten und rasen wie im
Motorsport gleichzeitig davon, rücksichtlos, mit breiten Ellbogen. Es entsteht
ein undurchdringliches Gewusel, es sieht aus wie unzählige Ameisen, die unter
einem umgestülpten Glas eingesperrt werden und plötzlich durch einen Spalt ins
Freie gelangen. Ein Mopedstrom flutet fortwährend die Stadt.
Entlang
der Hafenpromenade verläuft ein Park und lädt zum Verweilen ein. Eine
entspannte Atmosphäre am Flussufer. Restaurants reihen sich nebeneinander, die
Einheimischen spazieren, die Touristen fotografieren. Es war zu erwarten, dass
ich nicht der einzige Traveller bin. Vietnam gilt nicht länger als Geheim-Tipp.
Als allein herum stolpernder Tourist wäre die beste Zeit zuletzt in den
neunziger Jahren gewesen. Damals hätte man keine touristische Infrastruktur
vorgefunden, kaum Übernachtungen und vor dem Internetzeitalter noch weniger
Informationen über Busfahrpläne. Darüber kann man traurig sein, die Menschen
hier können es als Chance begreifen, als Aufbruch in eine neue Zeit. Sie können
am Tourismus verdienen, gesellschaftlich aufsteigen. Straßenhändler preisen
ihre Waren an, es sind private Händler und Kleinunternehmer, denen der
sozialistische Staat eine Marktnische öffnet und selbst daran verdient.
Das
Speedboat nach Saigon, der Wunsch nach entspannten Reisen. In einem
Internet-Café erhalte ich auf einem Plastik-Hocker die Erkenntnis: Es gibt tatsächlich
keine Informationen. Ein Mitarbeiter im Office bestätigt, das letzte Speedboat
fuhr vor einem halben Jahr. „Nimm doch den Bus!“ blickt er freundlich und dann
erstaunt in meine weit aufgerissenen Augen.
In mir sträubt sich Alles. Nicht schon wieder Minibus. Schon gar nicht
fünf Stunden bis Ho-Chi-Minh-City. Es muss eine andere Alternative geben, sage
ich mir! Ich suche weiter, suche einen anderen Anbieter, suche vergebens.
Und
dann, mit einem Mal, überraschend und doch irgendwann erwartet, aus der Ferne
war er noch nicht zu erkennen, steht er vor mir und er überragt den Platz.
Ho-Chi-Minh, eine Statue von ihm, überlebensgroß. Tach auch, denke ich so und
schaue weit nach hinten, weit zurück, in die Schulzeit, als er zehn lange Jahre
mein Leben begleitete, jeden Tag aufs Neue. Meine Schule war nach ihm benannt,
es gab vietnamesische Austauschstudenten und jährlich dieselben Bildervorträge.
Hängengeblieben sind der obligatorische Fahnenapell zum Geburtstag von Onkel Ho
und die Vietnam-Wochen in der 1. – 4. Klasse, wenn wir Kinder selbst diese
lustigen Sonnenhüte bastelten und Geschichten aus diesem fernen Land hörten. In
mir reifte sehr früh der Wunsch, irgendwann nach Vietnam zu reisen. Ich wollte
diese Geschichten selbst erleben, die mir damals erzählt wurden, diese Menschen
sehen, und vielleicht auch ein bisschen auf den Spuren der Rebellen wandeln.
Eine andächtige Minute halte ich inne, verweile in Gedanken und dann, nach
einer Bilderflut aus Kindertagen, reiße ich mich fort, schwebe von der
Tagträumerei wieder in die reale Welt. Machs gut, Freiheitskämper Vietnams und
Wiedervereiner einer ganzen Nation. Adieu für Heute und auf eine gemeinsame
Zeit! Unsere Wege werden in den nächsten Wochen gewiss noch öfters gekreuzt.