Reisebericht über ein Kuba, in dem Sonne und Sozialismus den Tagesrhythmus bestimmen.
callingindia@gmx.de
Klappentext:
Kuba? Ist das Karibik, ein bisschen Sonne, am Tag realer
Sozialismus und in der Nacht noch etwas „Buena Vista“?Oder sind es vielmehr berauschende
Landschaften, die besten Zigarren der Welt, unzählige Oldtimer und mithin eine
ungewollte Freilichtbühne aus den 50er Jahren?
Tag für Tag neue Überraschungen, ernüchternde Erkenntnisse und Einblicke in eine faszinierende Welt. Begleiten Sie Reiko Krause auf einer dreiwöchigen Rucksackreise und entdecken Sie ein Kuba, das zwischen Salsarhythmen, Palmenstrand, Tabak und Rum seit über einem halben Jahrhundert die Revolution konserviert. Ein reizvolles Land zwischen Hoffen und Harren, in dem die Zeit stillzustehen scheint und das dennoch nicht verzweifelt: denn Kubas Weg führt immer bis zum Sieg! Viva Cuba Libre!
aus: "Die Perle der Karibik"
Mickrige
Laternen werfen ein düsteres Licht auf die Straßen. Die Sonne hat sich soeben
verabschiedet, der Flughafen von Havanna verschwindet im Rückspiegel. In
rasanter Fahrt geht es im Taxi durch die schwarze Nacht. Letztes Etappenziel nach
einem langen Flug ist eine Unterkunft. Unruhe macht sich breit, ich bin
übermüdet, schon 20 Stunden auf den Beinen. Und ich bin alleine unterwegs. Zum
ersten Mal allein auf großer Tour. Mir geht so viel durch den Kopf. Von der
Vorfreude auf ein unbekanntes Land bis zum irren Gedanken, nur am Strand zu
liegen und die Tage rückwärts zu zählen. Alles oder Nichts. Jede Entscheidung
werde ich selbst treffen, jede Verhandlung selbst besiegeln, jedes Gespräch
selbst führen. Das heißt, ich werde spanisch sprechen. Kein Wollen, nein, sprechen
müssen. Der Trip war zunächst mit Gwen geplant, einer langjährigen Freundin,
wir hatten bereits Flugtickets und die gemeinsame Absicht auf den Kuba-Urlaub.
Zu Zweit wird vieles leichter, zumal sie perfekt spanisch spricht. Dann wurde
sie überraschend krank und wich mir tagelang aus, nicht jedoch Amors Pfeil, der
sie mitten im Herzen traf. Alte Freundschaft gegen die neue Liebe. Ich
benötigte 24 Stunden für die Entscheidung. Das geht auch ohne sie! Und es geht
mit Händen und Füßen. Wie bei den Taxikosten, die ich auf 20 Kuba-Dollar senken
konnte, also auf den normalen Touristenpreis. Die Flughafen-Taximafia war wie
erwartet vollzählig versammelt und sie hatte es auf mich und alle anderen
westlichen Touristen abgesehen.
„Hola,
Amigo!“ Sie versuchten zuerst den Trick, mich ohne Preishandel in den Wagen zu
lotsen. „Cuanta
costa?“
Meine
Frage gefiel ihnen nicht, auch nicht meine Beharrlichkeit: „No, maximo veinte“. Plötzlich wollten
sie nichts mehr verstehen, umkreisten mich jedoch weiter, bearbeiteten mich und
schließlich checkte ich ein. Dieser Punkt ging klar an mich. Unzufrieden sitzt
der Fahrer nun hinter dem Steuer. Es herrscht kaum Verkehr, nur ein
unbeleuchteter Karren mit Holzscheibenrädern taucht überraschend im Halbdunkel
auf. Als sei es das normalste dieser Welt,
rollt er langsam über die Straße. Typische Bilder schweben dazu im Kopf,
Bilder von fast leeren Straßen, einige betagte Straßenkreuzer aus den
Fünfzigern, daneben pastellfarbene Kolonialhäuser, Zigarrenfabriken und
halbleere Rumflaschen, eben so, wie es die Berichte über Kuba immer
illustrieren. Am Horizont flimmern
bereits die Lichter von Havanna. Meine
Gedanken sind schon beim nächsten Augenblick, saugen im Scheinwerferkegel
weitere Impressionen auf, als sie schlagartig zurückgesetzt werden.
Moment, ein Karren mit Holzscheibenrädern, anstatt
PKW und Lastwagen? Wo bin ich denn hier gelandet? Wir sind noch keine fünf
Minuten vom Flughafen entfernt und befinden uns längst in einer anderen Welt. Nein,
ich erwartete keine modernen
Fahrzeuge, keine Neubauten, keine Zukunft.
Ich
erwartete ETWAS aus der Vergangenheit. Aber
Holzscheibenräder? Wie weit reisen wir in der Geschichte zurück? Und was kommt
als nächstes? Eine Kutsche mit Pferdegespann?
Eine
lange Fahrt über eine breite Chaussee,
düster ausgeleuchtet, mit Palmen am Straßenrand. Die erste Aufregung
liegt bereits hinter mir. Recht schnell war ich aus dem Flugzeug raus, folgte
dem Tipp eines Bekannten und suchte bei der Einreise die Schlange, wo nur
Touristen standen und kam so als einer der ersten zum Gepäckband. Ich wartete
dort und wartete und wartete. Eine gefühlte Ewigkeit, fast eine Stunde voller
Ungeduld und war schließlich der Letzte, der ausharrte. Jeder griff irgendwann
nach seinem Koffer, ob Einheimische, Pauschalurlauber, Geschäftsleute oder
Individualtouristen. Nur ich ging leer aus. Was ist, wenn mein Gepäck
verschwunden ist? Die Gedanken rasten unsinnig umher. Immer schneller. Ich
überlegte bereits, wie ich dem Flughafenpersonal erklären soll, wie der
Rucksack aussah. Nur, wie hätte ich beschreiben sollen, was nicht gesagt werden
kann? Vor einigen Wochen noch reduzierten
sich meine Spanischkenntnisse auf „Hola“ und „Buenos Diaz“ sowie „Hasta
la vista, baby“. Mein Spanisch war sehr, sehr übersichtlich. In einem Crashkurs brachte ich mir
diverse Standardsätze und wie erwähnt einige Zahlen bei, kaum ausreichend für
längere Wortwechel. Die Freundin gab mir
zwar ihre Handy-Nummer, für den Notfall, falls ich nicht mehr weiter weiß, aber
so weit sind wir jetzt noch nicht. Zum Glück gab es hier ein weiteres Gepäckband
und als ich dort den Rucksack endlich sah, musste die Steinlawine, die von mir
abfiel, bis weit in die Vororte Havannas zu hören sein.
Wir nähern uns bereits der Stadtgrenze, warten vor einer roten Ampel. Der Taxifahrer ist ein
Profi, er beruhigte sich wieder und zeigt auf die benachbarte Fahrspur. Außer
unzähligen Ladas aus vergangener Zeit und weiterer ehemaliger Ost-Block-Fahrzeuge
rollt langsam ein alter, halb verrosteter Oldtimer an uns vorbei. Und dahinter
gleich noch einer, wie an einer Schnur aufgereiht einer nach dem anderen, als
wären sie auf dem Weg zu einem Oldtimertreffen. Mittendrin statt nur dabei. Ich
werde mich bestimmt noch häufig wiederholen, aber lebendiger kann kein Verkehrsmuseum
der Welt aussehen. Ein tiefer Blick zurück. Es ist niicht nur ein Traum, eher eine entrückte Zeit, eine fünfzig Jahre
alte Wirklichkeit.
aus: "Die Revolution der Touristen"
Straßenlärm um sieben. Dazwischen Stimmengewirr, unverstandene Worte. Von der Gasse dringt Kindergeschrei herauf, Fenster schlagen auf und wieder zu, ein Hahn kräht, als wäre es sein letzter Morgen. Es ist stickig und warm, einen Ventilator suche ich vergeblich, ebenso wenig gibt es ein eigenes Bad. Dieses muss mit den anderen geteilt werden. Nur ein Doppelbett passt in das Zimmer und ein schmaler Schrank. Dazu sind die Wände weiß gekalkt und sie sind massiv, es sieht aus wie in einer Gefängniszelle, der Fenstervorhang ist nur Attrappe, der den Blick nach draußen unmöglich macht. Ein Hotelzimmer ohne Fenster ist wie ein „Sarg mit Room-Service“. Man fühlt sich lebendig begraben. Die billigste Zimmervariante, der volle Preis. Was in Kuba nicht gleichzusetzen ist mit billig. Ich wache auf in einer Casa particular, so werden die (Privat-) Unterkünfte bei den Einheimischen genannt. Maximal zwei Doppelzimmer darf ein Kubaner vermieten und kann somit leichter an Devisen gelangen, an westliche Waren, an die Produkte des amerikanischen Traums. Es ist ein kleiner privatwirtschaftlicher Ansatz, der durch viele staatliche Zwänge geregelt wird, der trotz allem ein traumhaftes Geschäft für die Casa-Besitzer bedeutet. Der Staat um Fidel Castro erfasst penibel die Zimmerbelegung, kassiert von jeder Übernachtung die Hälfte und weiß später genau, wo sich die Traveller aufgehalten haben. Kubas größte Devisenquelle sind mittlerweile die ausländischen Touristen, und die werden generalstabsmäßig überwacht und kontrolliert - wie in einem modernen Wirtschaftsunternehmen. Wer will hier nicht gerne und einfach mitverdienen? Bei bisherigen Unterkünften und in Restaurants war es nicht zu übersehen, die Einheimischen arbeiten lieber an der Bar als beispielsweise in ihrem früheren Job als Uni-Professor. Viele Berufstätige und gut ausgebildete Fachkräfte wandern in den florierenden Tourismus ab. Sogar Ärzte geben ihren Beruf auf, leben heute nur noch von den Einnahmen aus der Zimmer-vermietung, erhalten ein Vielfaches des durchschnittlichen Monatslohns von umgerechnet 13 Euro. Eine seltsame Besonderheit im kubanischen Sozialismus und immer wieder überraschend, wenn ungelernte Barkeeper problem-los mehr verdienen können als studierte Doktoren.