Eine Kurzgeschichte über Abschied, eine Freundschaft und das Land der Träume.


Zug in die Freiheit - nicht im Buchhandel erhältlich


An manchen Tagen werden Entscheidungen getroffen, die dem Leben eine andere Richtung geben. Im Guten wie im Schlechten, wir halten an den Erinnerungen fest, wollen oder können nicht vergessen und wissen um die Bedeutsamkeit dieses einen Moments. Manche Erlebnisse verblassen mit den Jahren. Andere wiederum sind noch Jahre später so präsent, als wäre es erst gestern gewesen.

Eine Kurzgeschichte an diesen Augenblick, festgehalten für die Ewigkeit, als der beste Freund ging und mit ihm das Land der Kindheit für immer verschwand.


Leseprobe


Abschied. Noch einmal bummeln wir gemeinsam durch das alte, aber triste Erfurt. Sehen Neubaublocks im Stadtkern neben Architektur vergangener Jahrhunderte. Spiegelbilder vierzig Jahre DDR. Geradlinig nach oben gezogene, jedoch uninteressante Hochhäuser. Blumen und Grünflächen in der City, hingegen pulsiert sie nicht. Scheintot, wie im Koma liegend, zogen die Jahre vorbei. Da mal ein Lichtblick, dort ein roter Farbtupfer. Und doch versinkt die Stadt, das Land im Grau. Die Langweiligkeit kennt keinen Namen.

Die Straßen sind holprig und geflickt, dann wieder breit und unübersichtlich. Jede Stadt besitzt mindestens eine von Bäumen gesäumte Allee mit dem Namen eines Widerstand-kämpfers, oder ein nicht der Vergessenheit weichenden kommunistischen Strategen. Diese nennen sich dann Karl-Marx-Allee, Ernst-Thälmann-Straße oder Juri-Gagarin-Ring. Nicht jeder nennt ein Auto sein Eigen. Alle sind gleich. Nur manche sind gleicher.

Im Kino laufen gelegentlich auch Streifen aus dem westlichen Ausland. Wo bleibt die Tristesse, die Armut, die ständig im sozialistischen Organ angeprangert wird? Lebt der Klassenfeind in einer solchen farbenfrohen Welt? Kauft in jenen bunten Supermärkten ein? „Hammernich, krieg ´mer auch nich´ wieder” ist dort unbekannt? Warum soll das dann schlechter sein? Klassenkampf und Volkseigentum? Tausende Fragen und Bilder schwirren durch den Kopf. Wird er die Antwort finden? Noch zehn Tage.

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Das letzte Wochenende. In der Disco feiert der Republikflüchtling seinen Abschied und mimt zumindest hier und heute den großen Zahlmeister. Zu Ostmucke und Hits westlicher Kultur eine teils fröhliche, aber ebenso geknickte Stimmung. Wahrscheinlich realisieren wir erst jetzt und heute so richtig, dass es wohl kein Wiedersehen geben wird.
Am nächsten Tag, ein Sonntag, das letztmalige Treffen zweier Kumpels, Freunde, Nachbarn in teils intimer Atmosphäre. Wir fühlen uns erstmalig richtig erwachsen, spüren diese Größe des Moments, wollen ihn festhalten, die Zeit zurückdrehen, und sind offenbar doch noch zu jung, um zu begreifen, was geschieht. Jeder kennt die Gedanken des Anderen. Viel wird nicht geredet. Es gibt nichts, was dauert ewig? - Nimm was Dir gefällt!
Im nobelsten Café bringt Dominique die ihm verbliebenen Aluchips unter die Leute. Tief sehen wir uns in die Augen. „Schreib mir mal, wie´s Dir dort geht” will ich den Kontakt nicht abreißen lassen. „Und schick ein Foto, wo du dann wohnst!“ Doch geht das so einfach? Trennt uns in wenigen Tagen nicht eine unüberwindbare Mauer? Keiner weiß, was keiner weiß.
Hinter dem mit Wolken verhangenen Himmel vergeht die Sonne. Im Halbdunkel tappen wir durch die in Laternenlicht erhellte Altstadt, fahren für acht Pfennig mit der Straßenbahn nach Hause in die Plattenbausiedlung. Was wird ihn erwarten? Kann er sich seine Träume erfüllen? Sehen wir uns jemals wieder? Drei Tage noch bis zu jenem ominösen Mittwoch.