Verkehrter Verkehr

Unser Fahrer, ein Angestellter des Ashrams, ist zwar ein wahrer Spezialist hinterm Steuer, der es immer wieder schafft, mit einem Lächeln im Gesicht die Lücke zwischen all den anderen Verkehrsteilnehmern zu finden. Manchmal auch nur in allerletzter Sekunde. Vollbremsung, quietschende Reifen, es riecht nach verbranntem Gummi. „Der hat mich nicht reingelassen“ zuckt er ungerührt mit den Schultern. „War kein Platz mehr.“ Wo in Deutschland schnell der Stinkefinger gezeigt würde, jagt bei ihm nicht ein böses Wort über die Lippen, die einzige Geste sind ab und an etwas weiter geöffnete Augen.

Man hört niemals die Kugel, die einen erwischt. Und man erinnert sich nie an die Sekunden vor dem Unfall, der einen ins Koma schickt. Auf dieser Fahrt erleben wir die Schrecksekunden im Dreiviertel-Takt. Es ist normal, dass die Fahrer sich auf den staubigen, oft überfüllten Straßen mehr an der Straßenmitte orientieren. Mit hoher Geschwindigkeit donnern sie auf die entgegenkommenden Autos, Busse oder hoch beladenen Lastwagen zu, immer dem riskanten Gedanken folgend, der andere würde zuerst ausweichen.

Dennoch, es ist ein beklemmendes Gefühl, wenn man in immer größer werdende Scheinwerfer blickt. Lächelnd dreht er den Kopf zur Rückbank, während wir erneut auf rote Bremsleuchten zurasen. Kurz aufatmen, die Augen schließen, ein Stoßgebet gen Himmel, weiter geht die rasante Fahrt.

Der quirlige, etwas dickbäuchige Endvierziger hat wahrlich die Ruhe weg und zeigt nicht die geringsten Anzeichen von Hektik oder Stress. Womöglich hat er verdammt gutes Kraut geraucht. Ich meine, das war wirklich knapp. Nur der holprige Randstreifen bot noch einige Zentimeter Platz. Das war nicht nur eine gefährliche Situation. Der ganze Fahrstil ist abenteuerlich. Links und rechts der Straße laufen enorm viele Passanten, und es sind wie überall unzählige Motorräder, Rikschas und, ja, auch Busse unterwegs.

Manche fahren unter dem Schutz ihres Lieblingsgottes Ganesha, den sie als kleine Figur auf das Armaturenbrett geklebt haben. Wahrscheinlich sagen sie sich, solange der elefantenköpfige Gottessohn als Überwinder aller Hindernisse ihren Fahrkünsten beisteht, wird schon nichts passieren. Entweder ist dieses Vertrauen auf Gott Unsinn oder die täglich über zweihundert toten Verkehrsteilnehmer Indiens waren ohne Plastik-Ganesha unterwegs.